13 August 2009

Für einen handlungsfähigen Staat: Freiheitsrechte und Chancengleichheit

Einer der höchsten Werte unserer Gesellschaft ist mit der Wahrung der Freiheitsrechte verbunden. Dies reicht von der Freiheit über die Art und Weise des eigenen Lebens zu entscheiden bis zur Meinungs- und Pressefreiheit. Es ist Aufgabe des Staates, diese Freiheitsrechte zu achten und dort wo individuelle Ansprüche kollidieren, einzugreifen. Der Staat und seine Institutionen sollten möglichst wenig in gesellschaftliche und individuelle Freiheitsrechte eingreifen.

Ich möchte aber auch in einer Gesellschaft leben, in der jedem Einzelnen Chancen eröffnet werden. Jeder sollte in der Lage sein, sein eigenes Leben zu organisieren, zu finanzieren und sich zu entwickeln. Dazu ist in erster Linie, die Aktivität jedes Einzelnen gefragt. Es geht also nicht um eine Angleichung wirtschaftlicher Verhältnisse sondern darum jedem Einzelnen die Möglichkeit zu geben, sich durch eigene Anstrengungen weiterzuentwickeln.
Entwickeln sich jedoch gesellschaftliche Zustände der Abgrenzung sozialer Klassen, in denen sich die Chancen der individuellen Entwicklungen verengen, droht die Verarmung der Gesellschaft im Ganzen. Dies ist der Fall wenn der soziale Rucksack eines Kindes oder eines durch gesundheitliche und wirtschaftliche Lebensunglücke Gezeichneten so groß ist , dass keine Möglichkeiten zum wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg mehr gegeben sind. Wenn Menschen dadurch, dass sie in eine sozial schwache und bildungsarme Familie hineingeboren werden, durch einen gesundheitlichen Schickalsschlag oder durch den Verlust des Arbeitsplatzes, keine Chancen auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Teilhabe und Aufstieg haben, ist dies für eine Gesellschaft kein hinnehmbarer Zustand.

Aus meiner Sicht ist nur der Staat, nicht die Privatwirtschaft und auch nicht die Zivilgesellschaft in der Lage, in gerechtem Maße Chancengleichheit zu organisieren. Dazu brauchen wir einen starken und leistungsfähigen Staat. Dies umfasst auch die Auseinandersetzung über eine möglichst effiziente Verwendung von Mitteln, z.B. durch Bürokratieabbau, Überprüfung von Subventionszahlungen, Kontrolle des Einflusses von Lobbyisten, Neugestaltung des Förderalismus wie beispielweise im Bildungsbereich oder eine Neuordnung des Gesundheitssystems. Über die Verwendung der Mittel muss gestritten werden. Folgende Bereiche sollten aber weiterhin zu starken Aktionsfeldern des Staates gehören und ausgebaut werden: Bildung, Sozialwesen (Absicherung vor Verarmung, Integration, Jugendarbeit, Rentensicherung), Familienförderung, Gesundheitswesen, Infrastrukturentwicklung, Umweltschutz und Kulturförderung.

Diejenigen, die einen weiteren staatlichen Rückzug fordern, dies mit der Wahrung von individuellen Freiheitsrechten begründen und darauf verweisen, dass jeder für sich am besten weiß, was gut für ihn sei, sollte sich darauf besinnen, dass es in vielen Fällen der Staat war, der ihm diese Chancen zum gesellschaftlichen Aufstieg gegeben hat – durch Zugang zu Bildung, allgemeine Gesundheitsversorgung, soziale Absicherung, Sicherung von Eigentumsrechten usw. Das alleinige Vertrauen auf staatlichen Rückzug, wirtschaftliches Wachstum und die Hoffnung auf einem damit einhergehenden Wohlstandswachstum aller Bevölkerungsteile hat sich in den letzten 20 Jahren als Illusion erwiesen.
Unsere Gesellschaft, die vergleichweise reich an materiellem Wohlstand, Produktivität und Ideen ist und in der wir einen starken Zuwachs an Wirtschaftsleistung zu verzeichnen haben, darf sich eine Abkopplung großer Bevölkerungsteile und einen weiteren Rückgang des Mittelstandes nicht leisten.

Huschmand Sabet belegt diese Entwicklung in seinem Buch „Globale Maßlosigkeit: Der (un)aufhaltsame Zusammenbruch des weltweiten Mittelstandes“ eindrucksvoll. Der größte Skandal, so Sabet besteht darin, dass fast der gesamte Wertezuwachs auf diesem Globus bei den Superreichen als Vermögenszuwachs angekommen ist. Gleichzeitig ist nicht nur global sondern auch in entwickelten Ländern wie Deutschland ein deutlicher Wechsel der Vermögenswerte von den armen Bevölkerungsschichten und vom Mittelstand hin zu wenigen Wohlhabenden zu beobachten. Weite Teile der Gesellschaft, die nicht mehr nur die sozial und bildungsschwachen Bevölkerungsschichten sondern auch den Mittelstand und mittelständische Unternehmen umfassen haben deutliche Vermögensverluste hinzunehmen und drohen zu verarmen.
Die Zahl der Menschen, denen es sozial schlecht geht, hat zugenommen. So hat sich die Zahl derjenigen, die von prekären Arbeitsverhältnissen leben in der letzten 10 Jahren von 5 auf 7,5 Millionen in Deutschland erhöht, 2,5 Millionen Kinder leben auf Sozialhilfeniveau und ca. 900.000 Menschen sind auf Versorgung in Armenküchen angewiesen.
Sie alle zählen zu den Verlierern eines weltweiten Prozesses. Die Verteidigung der Position des Mittelstandes, so Huschmand Sabet, hängt gleichzeitig untrennbar mit der Verbesserung der Situation der Armen zusammen. Der soziale Aufstieg wird schwerer und Ludwig Erhardts „Wohlstand für alle“ erscheint nur noch als Forderung aus längst vergangenen Zeiten.

Dies verlangt eine Politik, die die Leistungsfähigen mit ihrem Einkommen und Vermögen stärker beteiligt, die Steuerhinterziehung rigoros bekämpft, die Arbeit in allen Einkommensklassen lohnenswert macht (und dies nicht nur durch Reduzierung von Sozialstandards) und globale soziale und ökologische Standards etabliert.
Freiheitsrechte und die Wahrung von Chancengleicheit gehören untrennbar zusammen. Dies wäre eine moderne solidarische Politik. Eine Politik die Vertrauen in die Zukunft fördert und Engagement jedes Einzelnen stiftet.